12.02.2021
Jeder weiß: In Krisenzeiten werden Beziehungen auf die Probe gestellt. Doch was heißt das konkret für das Verhältnis von Führungskräften und ihren Mitarbeitenden während der Corona-Pandemie?
Der Blick auf die vergangenen Monate ist zwiegespalten: Die Coronakrise hat einerseits Führungs- und Fachkräfte enger zusammenwachsen lassen, andererseits hat die Pandemie aber auch das Verständnis moderner Führung auf den Kopf gestellt. Herausforderungen galt es gemeinsam zu stemmen, für Eitelkeiten war keine Zeit. Es ging und geht für viele Unternehmen noch immer ums Überleben und somit für die Mitarbeitenden um den Job. Das schweißt zusammen. Viele Entscheidungen werden aber trotzdem von oben nach unten getroffen, häufig ohne Abstimmung mit dem Team. Ein Führungsstil, der in Zeiten von New Work und New Leadership als überwunden galt. „Mir war nicht immer jeder Kurswechsel klar“, erklärt Sabine Mühring, die eigentlich anders heißt. Gegenüber t3n erzählt sie, dass Projekte plötzlich eingestellt oder anders priorisiert wurden oder dass sie von einer auf die andere Minute ganz neue Aufträge reinbekam. „Ich empfand das oft als kopflos“, so die Projektleiterin eines Event-Dienstleisters. „Das war ich von meinem Chef nicht gewohnt.“
Dass sich die Beziehungen zwischen Führungskräften und ihren Mitarbeitenden seit Corona verändert haben, brachte auch eine Erhebung des Marktforschungsinstituts Appinio in Zusammenarbeit mit der Jobplattform Indeed zutage. Jeder vierte Berufstätige gibt darin an, dass das Verhältnis zur Chefin beziehungsweise zum Chef heute anders ist als noch vor der Pandemie. Mehrheitlich bedeutet das jedoch: besser. So sehen das zumindest 68 Prozent aller befragten Beschäftigten. Vor allem junge Menschen nehmen eine positive Entwicklung wahr: So geben 63 Prozent der 18- bis 24-Jährigen und 80 Prozent der 35- bis 44-Jährigen an, dass sich das grundsätzliche Verhältnis zur Führungskraft seit der Coronakrise verbessert habe. Der Grund: Trotz oder gerade wegen der Herausforderungen haben sich die Kolleginnen und Kollegen mehr wertgeschätzt gefühlt. Mit 29 Prozent sind laut der Befragung knapp ein Drittel aller Arbeitnehmenden in Deutschland der Ansicht, dass ihre Leistungen seit Ausbruch der Pandemie in den Führungsetagen mehr Beachtung gefunden hat.
Für Führungskräftetrainer Stefan Lammers zeigt sich das im Berufsalltag vor allem so: „Ich erlebe Vorgesetzte als unheimlich engagiert und fürsorglich. Immer wieder stellen sie sich Fragen: Wie kann ich Kontakt halten? Wie kann ich sicherstellen, dass es meinen Mitarbeitenden gutgeht und niemand hinten rüber fällt?“, so der Coach im t3n-Gespräch. Vor allem aufgrund fehlender Büropräsenz habe sich dahingehend einiges getan. „Vorher dachte der Großteil der Vorgesetzten: ‚Da ich die Leute sehe, habe ich alles im Griff‘. Heute bemerken sie, dass das nicht reicht.“ Der Austausch mit dem Team habe sich erhöht. Anstatt Gefühle im Gesicht der Menschen im Vorbeigehen abzulesen, wird inzwischen häufiger im Rahmen von Online-Meetings direkter nachgefragt, ob es den Kolleginnen und Kollegen gutgeht und in dem Zuge auch häufiger Dank ausgesprochen. „Der Anteil der Fürsorgearbeit im Job ist aus meiner subjektiven Sicht gestiegen“, erklärt Stefan Lammers. „Ich hoffe sehr, dass das auch für die zukünftige Zusammenarbeit in Präsenszeiten erhalten bleibt.“
Das offenbar verbesserte Klima in vielen Unternehmen lässt allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Krisenmanagement der Chefinnen und Chefs von den Beschäftigten als nicht allzu gut bewertet wird, so die Erhebung von Appinio und Indeed. Im Durchschnitt bewerten die Arbeitnehmenden den Umgang ihrer Vorgesetzten mit der Pandemie nämlich nur als befriedigend. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter großer Unternehmen haben tendenziell etwas bessere Noten an ihre Vorgesetzten vergeben als Fachkräfte kleinerer Firmen. So liegt der Notendurchschnitt bei Unternehmen mit bis zu 20 Mitarbeitenden bei 3,3 und bei solchen mit bis zu 1.000 Mitarbeitenden bei 3,1. Hier zeigt sich vor allem auch, wovon Sabine Mühring eingangs sprach: In Krisenzeiten läuft vieles anders als gehabt. „Um Mitarbeitende bei wichtigen Entscheidungen nicht zu verlieren, sind Chefinnen und Chefs gut beraten, nicht nur mehr Mitarbeitergespräche zu führen, sondern auch transparenter zu machen, wie plötzliche Kurswechsel zustande kamen“, so Stefan Lammers.
Dass ihr Vorgesetzter sich häufiger erkenntlich zeigt, hat auch Sabine Mühring festgestellt. Beispielsweise für geleistete Überstunden oder dass sie trotz erheblicher privater Herausforderung, wie das Homeschooling ihrer Kinder, auch weiterhin engagiert ihr Tagwerk erledige, so die Projektleiterin. „Mein Chef sagt das auch, dass wir alle gerade viel um die Ohren haben, und lässt keine Gelegenheit aus, seine Dankbarkeit zu zeigen“, erzählt die berufstätige Mutter gegenüber t3n. Ihr Vorgesetzter habe ihr gegenüber bei besserer Wirtschaftslage nach der Pandemie auch gehaltstechnisch Zugeständnisse angekündigt. Bereits während der Coronakrise haben vor allem Großunternehmen über Bonuszahlungen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wertgeschätzt. Siemens, Adidas und Daimler zählen dazu. Sie haben im vergangenen Jahr bis zu 1.000 Euro pro Beschäftigte als Sonderzahlung ausgegeben. „Mit dieser Einmalzahlung wollen wir den Einsatz jedes Einzelnen würdigen und Danke sagen“, erklärte Adidas-Vorstandschef Kasper Rorsted im Dezember 2020.
Der Führungskräftetrainer Stefan Lammers freut sich über gegenseitiges Verständnis. „Es ist sauschwer für Führungskräfte, in Krisenzeiten allen unterschiedlichen Ansprüchen gerecht zu werden“, erklärt er. „Auch bei den Vorgesetzten wird vielerorts im Homeoffice gearbeitet und gleichzeitig die Kinder versorgt.“ Das gehe nicht nur den Mitarbeitenden so. Viele Führungskräfte seien selber durchgetaktet wie nie, haben ihr Umfeld zu managen und werden mit unglaublich vielen Anforderungen von allen Seiten konfrontiert, weiß der Coach. „Es ist für alle eine taffe Zeit.“ Auch deshalb sollten Mitarbeitende auch von sich aus das Gespräch suchen, wenn Vorgesetzte manche Belange übersehen. Wem es – wie Sabine Mühring – beispielsweise an Transparenz fehle, sollte direkter darum bitten. „Wenn alle Verständnis entwickeln, auch mal ein Stück gelassener sind, sich gezielter Feedback geben und Fehler nicht gleich persönlich nehmen, kann das auch enorm auf die Zufriedenheit einzahlen.“ So muss man sich nach Corona auch nichts verzeihen, wie es Gesundheitsminister Spahn ausdrückte.
Artikel erschienen am 12.02.2021, 06:30 Uhr von Andreas Weck bei t3n